Kreuznach, Stadt der Märkte

Von Martin Senner

Eine Ansiedlung bäuerlicher Selbstversorger kommt ohne Markt aus. Wo Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs nicht bloß erzeugt und verbraucht, sondern auch gehandelt werden, da entwickelt sich ein Dorf zur Stadt. Bereits die älteste Kreuznacher Urkunde, ausgestellt 1232/37 durch Graf Simon I. von Sponheim, erwähnt einen „Markt“. Der Landesherr verfügte, dieser solle ausschließlich auf dem dafür vorgesehenen Platz gehalten werden.

Das war der „Markt vor dem Rathaus“, in der Neustadt. In neuerer Zeit wurde er einmal wöchentlich zum Mittelpunkt des Wirtschaftslebens, und zwar am Samstagvormittag. Sehr zum Verdruß der zahlreichen jüdischen Interessenten, die am Sabbat keinen Handel treiben durften! Unter Napoleon I. fand der Markt dann am Freitag statt. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte sich der Name Eiermarkt eingebürgert, im 19. Jahrhundert war daneben Gemüsemarkt gebräuchlich.

Vielfältiger und bunter, als diese Bezeichnungen erahnen lassen, muß die Produktpalette im Mittelalter gewesen sein. Galt doch für Ortsfremde das ausdrückliche Verbot, Kauf und Verkauf anderswo zu tätigen als auf dem Markt! Dorthin kamen folglich die Kreuznacher Handwerker mit allem, was sie nicht direkt auf Bestellung gefertigt hatten. Auf dem Markt standen auch die heimischen Bäcker und Metzger, denn Ladengeschäfte durften sie nicht unterhalten. Der Verkauf an Brot- und Fleischbänken (Schrannen oder Scharne genannt, woran noch das Schargäßchen erinnert) erleichterte es den städtischen „Besehern“, Qualität und Gewicht der Ware zu kontrollieren.

Strafbar war in alter Zeit das ,Vorkaufen‘, weil dadurch der Markt an Anziehungskraft verlor – und die Obrigkeit den „Marktzoll“ einbüßte! Ein Ärgernis blieb es: 1889 schlug ein Leserbrief „den Butterhändlern“ vor, „das auf dem Eiermarkte aufgestellte Schilderhäuschen an Markttagen zu leihen, damit sie die vor 10 Uhr zum Zwecke des Handels aufgekaufte Butter darin zusammentragen und hernach weitertransportieren können; man wäre dann auch in der Lage, zu ermessen, ob sie die große Menge Butter zum eigenen Bedarf nothwendig haben oder nicht“. Gemeint war etwa Spezereiwarenhändler Valentin Mathes (Kreuzstr. 56), der damals das Pfund für 1,05 Mark abgab. Zum Vergleich: Dieselbe Menge „Roasbeef oder Lenden“ kostete 55 Pfennig und „kräftige Arbeiter“ wurden „pro Tag“ mit 2,50 – 3,50 Mark entlohnt.

Selbst der in Kreuznach stets bedeutende Viehhandel spielte sich ursprünglich am Wochenmarkt ab. 1601 klagt das Ratsprotokoll, „Schwein und Rind“ würden weiterhin in der Stadt feilgehalten, obwohl eigens ein Saumarkt vor dem Rüdesheimer Tor (am heutigen Holzmarkt) errichtet worden sei. Der Schweinemarkt für die Bürger von „iwwernoh“ befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Kornmarkts, am Anfang der Mühlenstraße, und es kam durchaus vor, daß ein entwichenes Borstentier sich über die Getreidesäcke hermachte. Um die feinen Nasen der Kurgäste zu schonen, wurde diese ländliche Szenerie 1837 in die Beinde verbannt, wo der Ferkelmarkt noch zur Jahrhundertwende bestand. – 1906 mußte der Viehmarkt für Rinder und Pferde der heutigen Kirschsteinanlage weichen. Von 1764 bis 1837 hatte er auf dem Wörth (vor der Pauluskirche) stattgefunden. Vorher war er auf der Pfingstwiese angesiedelt, wie nach ihm der Kreuznacher Jahrmarkt. Bis ins 20. Jahrhundert stand der Jahrmarktsdienstag ganz im Zeichen des Großviehhandels.

Um den Eiermarkt gruppierte sich ein Kranz weiterer Märkte. Zwischen Stadtschreiberei und Karmeliterkloster, am Dippemarkt (Topfmarkt), bauten einheimische und auswärtige Häfner ihre Ware auf. Der Fischmarkt vor der Apotheke bot dank des oberirdisch fließenden „kleinen Gerberteichs“ lebenden Nahefisch; Seefisch gab es gedörrt (Stockfisch), geräuchert (Bückling) oder gesalzen (Hering). Am Salzmarkt, bequem erreichbar für die vielen Metzger des Viertels, standen die Karren der weitgereisten Salzhändler. Kreuznacher Quellen für das unentbehrliche Würz- und Konservierungsmittel existierten zunächst ja noch nicht! Ein paar Schritte weiter, und man war am Holzmarkt. Denn bis 1851 spielte sich der Handel mit dem wichtigsten Brennmaterial innerhalb der alten Stadtgrenze ab, auf der heutigen Hochstraße.

Der Marktplatz „iwwernoh“ fügte sich in das ganz landwirtschaftliche Gepräge dieses Stadtteils ein: der Frucht- oder Kornmarkt. Daß der Getreidehandel auf Anordnung der Landesherrschaft dorthin verlegt worden war, führte 1493 zu einem Zerwürfnis zwischen Alt- und Neustadt, das erst durch das Machtwort beendet wurde, die Marktfreiheit sei für alle Kreuznacher da. So gab es fortan zwei Wochenmärkte. 1827 fand der Getreidemarkt am Freitag statt, Dienstags und Freitags der Gemüsemarkt.

Dessen Ort, daran hielt noch die Marktordnung von 1874 fest, sei der Platz „an der katholischen Kirche“, vor St. Nikolaus. Daß seit dem Ausbau des Kurviertels und vor allem seit der Eröffnung des neuen Bahnhofs (1908) das Geschäftszentrum der Stadt südwärts wanderte, konnte den Eiermarkt nicht unberührt lassen. 1921 gab ein Ratsherr zu Protokoll, „dass der ganze Marktbetrieb sich jetzt nach dem Bismarckplatz [Kornmarkt] gezogen habe, sodass der Betrieb auf dem Eiermarkt fast gänzlich eingestellt sei“. Zu seiner Wiederbelebung verfügte die Stadtverwaltung, der Markt solle nicht mehr an beiden Terminen auf beiden Plätzen gehalten werden – so hatte es die im Vorjahr erlassene neue Marktordnung bestimmt –, sondern Dienstags auf dem Eiermarkt, Freitags auf dem Kornmarkt. Nach drei Monaten erklärte Bürgermeister Dr. Fischer dieses Experiment für beendet, der Wochenmarkt in der Neustadt aber bestand noch in den 1930er Jahren.